Rheinischer Verein - Vortrag Gerhard Schommers 2019

Am 30. April 2019 fand auf Einladung des Rheinischen Vereins für Denkmalpflege und Landschaftsschutz eine Konferenz zum Thema: „Stimmen und Stimmungen entlang der Mosel, Netzwerken für die Weinkulturlandschaft Mosel“ statt.

Ich wurde gebeten, im Rahmen dieser ganztägigen Veranstaltung (es kamen weit über hundert Personen aus dem gesamten Moselraum) einen Vortrag zum Thema „Mundart“ zu halten.

Gerhard Schommers

Moselfränkische Mundart – ein Stück Heimat – ein Teil unserer Kultur

Mich rief mich die Redaktion des „Spiegel“ an, um mir mitzuteilen, dass die moselfränkische Mundart auf der roten Liste der Unesco der gefährdeten Sprachen stehe. Ich wurde gefragt, was wir als „Mundart-Initiative im Kreis Cochem-Zell dagegen setzen. Was ich dem Spiegel antwortete, kann man in der nächsten Ausgabe des „Spiegel“ am Wochenende nachlesen. Es ergibt sich auch aus meinem heutigen Vortrag.

Am 21. Februar 2019 begeht Deutschland den „Tag der Muttersprache“. Und meine Muttersprache ist die moselfränkische Mundart, genauer die Mundart meines Heimatdorfes St. Aldegund. Nun bin ich kein Sprachwissenschaftler. Deshalb berichtete ich aus der Praxis eines Mund-ARTisten, also eines „Plattschwätzers“.

Meine Eltern sprachen mit uns Kindern ausschließlich die heimische Mundart. Ich kann mich nicht erinnern, dass ich mich mit meiner Mutter jemals auf Hochdeutsch unterhalten hätte.

Das hat mir nicht geschadet – auch wenn ich erst nach meiner Einschulung 1946 in St. Aldegund lernte, dass eine „Box“ auf Hochdeutsch eine Hose ist. Ich kann aber auf meine Mitmenschen so reagieren, wie sie mir entgegen treten – entweder in Mundart oder in Hochdeutsch.

So etwa ab Ende der 50-er und Anfang der 60-er Jahre glaubten immer mehr Eltern, mit ihren Kindern Hochdeutsch sprechen zu  müssen, um ihnen den Eintritt in die Schule und ins Leben zu erleichtern.

In den meisten Fällen war dieses Hochdeutsch eine Mischung aus Hochdeutsch und Mundart. Damit machten die Eltern einen fatalen Fehler: Zum einen lernten die Kinder ein ganz schlechtes Hochdeutsch. Und Wissenschaftler haben schon lange herausgefunden, dass Kinder, die zweisprachig aufwachsen – also beispielsweise in Mundart und in Hochdeutsch – einen größeren Wortschatz haben, sich besser ausdrücken können und, es beim Erlernen einer dritten oder vierten Sprache leichter haben als die „einsprachigen“ Kinder.

Welche Folgen hatte nun diese Fehleinschätzung der Eltern? Die meisten nach 1960 Geborenen sprechen keine Mundart mehr. Es ist abzusehen, dass in zwei-drei Jahrzehnten die Mundart „ausgestorben“ ist.

Vor einigen Jahren wurde ich gebeten, bei einem Mundart-Projekt einer Zeller Schule mitzuarbeiten. Als ich die rund zwanzig Schüler fragte, wer denn noch Mundart sprechen könne, das ernüchternde Ergebnis: Keiner der rund 20 Schüler sprach Mundart.

Erschreckend und enttäuschend.

Wie kann man diese Tendenz umkehren – oder wenn man realistisch ist - wie kann man sie stoppen oder wenigstens hinauszögern?

Josef Buchholz aus dem Hunsrückdorf Liesenich, Jahrgang 1930, stellte diese Überlegungen ebenfalls an. Im Mai 2007 wurden durch die örtliche Tages-Zeitung Personen, die Mundart sprechen und an deren Erhaltung Interesse haben, zu einem Treffen in ein Gasthaus in Ernst eingeladen. Es kamen rund vierzig Personen, und man war sich einig, dass man etwas für die Pflege und Erhaltung der Mundart tun muss – aber was?

Es ging eine Liste rund mit der Bitte um Eintragung, wenn man in einem Arbeitskreis „Mundart“ mitarbeiten wolle. Rund ein Dutzend Namen standen am Ende auf der Liste.

Dieser Arbeitskreis traf sich wenig später im „Riesling-Keller“ der Kreisverwaltung, um eine Strategie zu entwickeln. Die Teilnehmer stellten fest:

Wir haben nicht die Kompetenz, Entstehung und Entwicklung der Mundart und ihre Eigenart, besonders was die Grammatik und Schreibweise angeht, wissenschaftlich aufzuarbeiten. Es gibt nicht die moselfränkische Mundart.

Auf unseren Kreis Cochem-Zell bezogen gibt es eine gewisse Basis-Mundart – aber jedes Dorf hat teils umfangreiche eigene Vokabeln, eine eigene Sprach-Melodie, einen eigenen Sound in seiner Sprache. Als „Eingeborener“ St. Aldegunder kann ich durchaus erkennen, ob eine Mundart sprechende Person zum Beispiel aus Alf, aus Neef oder zum Beispiel aus Cochem stammt, selbst wenn sie Hochdeutsch spricht.

Es gibt über 90 Gemeinden im Kreis Cochem-Zell. Aber eine ganze Reihe Gemeinden haben in ihren Dorf- oder Stadtteilen jeweils eine eigene Mundart. In Zell sprechen die Altstädter anders als die im Stadtteil Kaimt und anders als die im Stadtteil Merl. In Cochem unterscheiden sich Altstadt, Cond und Sehl. Es gibt sogar Dörfer mit Sprachunterschieden im „Oberdorf“ verglichen mit dem „Unterdorf“.

In der Bevölkerung besteht eine gewisse Scheu, „Platt“ zu reden. Wer „Platt“ redet gilt als ungebildet, als „Bauer“.

Aber – die Mundart vermittelt ein starkes Heimatgefühl. Man fühlt sich mit der Mundart „zu Hause“. Es entsteht ein starkes „Wir-Gefühl“.

Schlussfolgerung: Wir müssen die Mundart wieder „salonfähig“ machen. Wir müssen die Bevölkerung dazu bewegen, wo immer es geht, mit Selbstbewusstsein „Platt“ zu sprechen. Es muss sich in den Köpfen festsetzen: Ich kann etwas was andere nicht können. Das Bewusstsein ist zu stärken, dass die Mundart ein Teil unserer Geschichte, unserer Tradition, ein Stück Heimat ist.

Hieraus wieder die Schlussfolgerung:  Das gemeinsame „Platt sprechen“ muss gefördert werden. Erste Idee: Wir veranstalten sogenannte Mundart-Nachmittage. Hierfür sind „Plattschwätzer“ zu gewinnen, die vor einem größeren Publikum Geschichten, Anekdoten, Ereignisse in der Mundart ihres Heimatdorfes vortragen – sei es in besinnlicher Form, sei es in lustiger Form.

Gesagt getan: Man entschloss sich zu dem Experiment „Mundart-Nachmittag“.

Erster „Spielort“ war Altstrimmig. Das dortige Gemeindehaus fasst bei voller Ausnutzung rund 120 Personen an Tischen. Man war darauf vorbereitet, vor einer Reihe leerer Tische die Veranstaltung durchzuziehen. Aber genau das Gegenteil passierte: Von überall wurden Stühle herangeschleppt. Über 200 Teilnehmer waren gekommen, eine große Plattschwätzer-Familie.

Das machte Mut, und es folgten bis heute 23 Mundart-Nachmittage – und immer mit mehr oder weniger ausverkauftem Haus.

Inzwischen haben fast 5.000 Personen unsere Mundart-Nachmittage besucht. Es läuft wie auf einer Familienfeier, man fühlt sich im Kreis gleichgesinnter Platt-Schwätzer heimisch, man fühlt sich zu Hause. Mundart verbindet, ist ein Stück Heimat. In unserer Region nennt man so etwas ein „Geheechnis“.

Der Begriff „Heimat“ wird von jungen Leuten und Leuten bestimmter Denkrichtungen als überholt, als abgedroschen bezeichnet. Dem widerspreche ich ganz energisch. „Heimat“ ist und bleibt ein emotionsgeladener Begriff. Und je älter man wird, um so wichtiger wird einem „Heimat“.

2009 kam dann die Idee, Dorfführungen in Mundart anzubieten. In den Dörfern steckt ein Riesen-Potential interessanter Zeugen der Vergangenheit und viele schöne Geschichten. Bisher fanden 26 solcher Dorfführungen statt. Es kamen nie weniger als dreißig Teilnehmer, In Kaisersesch und Beilstein waren es jeweils über hundert. Die Teilnehmer waren und sind immer wieder erstaunt, wieviel Schönes und Interessantes unsere Heimat zu bieten hat. Kann es eine bessere und schönere Kombination von Geschichte, Kultur und Heimatgefühl geben?

Und zur Abrundung des Programms und um den Zusammenhalt der Mitglieder und anderer Interessierter zu stärken, boten wir über einige Jahre Tagesausflüge und Schiffsfahrten an. So veranstalteten wir eine Schiffsfahrt von Beilstein nach Enkirch und zurück. Aus jedem der rund 15 Dörfer, die wir passierten, stellte ein Einheimischer sein Dorf vor – natürlich in Mundart. Und Wanderfreunde kommen auch zu ihrem Recht indem wir seit etwa 2010 jedes Jahr eine geführte Wanderung anbieten. Natürlich mit einem Mundart sprechenden Wanderführer aus der jeweiligen Region.

Nun sind wir eine mehrheitlich katholische Region. Und wir waren und sind der Meinung, dass auch der liebe Gott unser Platt versteht. Vorsichtig starteten wir mit Mundart-Andachten in den Klöstern Engelport und Martental. Die jeweiligen Kirchen waren bis zum letzten Platz gefüllt. Die Patres freuten sich über eine ordentliche Kollekte.

Sehr viel schwerer war es dann, einen Zelebranten für eine Mundart-Messe zu finden. Wir fanden ihn in Pastor Paul Diederichs von der Pfarreiengemeinschaft Zeller Hamm, selbst in der Mundart seines Heimatdorfes Greimersburg groß geworden. Jeweils rund 400 Besucher füllten die Kirchen von Kaimt im Jahr 2016, im Kloster Martental 2017 und in Forst in der Eifel in 2018.

Und da man der Öffentlichkeit immer wieder Neues bieten muss, organisierten wir für den März 2019 eine Mundart-Weinprobe bei einem angesehenen Winzer. Es standen hundert Plätze zur Verfügung. Diese waren innerhalb zehn Tagen ausverkauft.

Natürlich gibt es seit 2009 eine Homepage der Mundart-Initiative – immer auf aktuellem Stand: www.mir-schwaetze-platt.de. Und seit 2013 haben wir unsere eigene Vereinszeitung „Mir Plattschwätzer“, jeweils 8 Seiten A 4 mit vielen Informationen und schönen Geschichten. Kürzlich erschien die 11. Auflage.

Und nicht zu vergessen: Aus Anlass unseres 10-jährigen Vereinsjubiläums gaben wir ein etwa 260-seitiges reich bebildertes Buch heraus mit 90 Mundart-Geschichten aus 75 Gemeinden unseres Kreises Cochem-Zell. Und da das gesprochene Wort in der Mundart das Wichtigste ist, ist dem Buch eine CD mit zwölf Mundart-Beiträgen beigefügt. Rund 1.500 Exemplare dieses Mundart-Buches wurden bisher verkauft.

Was haben wir in den zehn Jahren Vereinsgeschichte zur Pflege und Erhaltung der heimischen Mundart erreicht? Mundart ist im wahrsten Sinne des Wortes wieder in aller Munde. Man spricht selbstbewusster und unbefangener, was man als Kind gelernt hat. Mundart ist immer wieder Thema in der Presse, und die Mundpropaganda, erzeugt durch unsere Veranstaltungen, hat ihre positiven Wirkungen.

Nun ist bei der Pflege und Erhaltung der Mundart die Mundart-Initiative nicht allein auf weiter Flur. In zahlreichen Dörfern werden Theaterabende in Mundart angeboten. Im Karneval – oder wie wir hier sagen, in der Fassenacht – wird wieder mehr Platt gesprochen. Und immer mehr Vereine und Privatleute wünschen sich bei ihren Feiern zur Unterhaltung der Gäste Vorträge von Plattschwätzern.

Nicht zufrieden sind wir mit unseren vielfältigen Bemühungen, die junge Generation und die Schulen zu erreichen. Die Schulen lehnen unser Angebot, den Schülern die Mundart näher zu bringen ab. Es stehe nicht im Lehrplan. Ein Schuldirektor meinte sogar, dass in seiner Schule weder in den Klassen noch auf dem Pausenhof Platt gesprochen werden dürfe.

Unsere Bemühungen, die Politik einzuspannen, liefen ins Leere. Zwei von vier eingeladenen Abgeordneten des rheinland-pfälzischen Landtags kamen zwar zu einem Gespräch. Wir haben uns nett unterhalten, aber herausgekommen ist nichts. Die schulpolitische Sprecherin der FDP antwortete per Mail, dass für Mundart im Lehrplan kein Platz sei. Die Grünen antworteten mit Stillschweigen. Da denken andere Bundesländer anders. In vielen Regionen Nordrhein-Westfalens, Niedersachsens und Mecklenburg-Vorpommers gehört die Mundart zum Lehrplan. Die Region des Moselfränkischen reicht sogar bis nach Lothringen hinein. Ein Mundartler aus Lothringen bestätigte mir, dass moselfränkische Mundart in den Schulen ein selbstverständliches Fach sei. Und das bei unseren Nachbarn in Frankreich. Aber in Rheinland-Pfalz hat man wohl andere Prioritäten – Schade!

Wir setzen unsere Arbeit unbeirrt fort Wir lassen unser Ziel, die Mundart noch lange am Leben zu erhalten, nicht aus dem Auge.

Und damit Sie erleben, wie moselfränkische Mundart klingt, trage ich am Ende meiner Ausführungen eine kleine Geschichte vor, die ich für einen unserer ersten Mundart-Nachmittage verfasste.

Ebbes iwwer die Musseler

Wohl schuu etliche dousend Joar,
gerret Musseler, dat es woa.
wie dä Herrgott die Musseler hott gemaach,
hott ä sich schu wat bee gedoocht.
Noo dänne Germane koome die Kelte,
dat woaren secherlich net nur Helde.
se honn deetliche Spure hennerloas,
mannich Heiligtum und mannisch Stroaß
A Beespill ess dä Martberg iwwer Koarde,
die Römer kunnden et net erwoade,
auf dem Mons Martis off dänne Spure von de Kelte,
sich als näije Hääre oo zu melde.

Die Römer und die Kelte-Fraue,
honn zesomme gelooch in ihre Kaue,
datt Ergebnis, eesch soon et frank und free,
datt moos dä häitije Musseler see.
Spärer koomen noch die Franzuse,
die wollten och met dänne Musselmädcher schmuse.
Suu es enn edle Mischung entstann
die echte Musseler, Frau und Mann.

Die Römer honn die eeschte Weensteck gebrooch,
unn schu en Menge Wingerte oo gelooch.
„Wein macht Freude“ – säät ma häit,
unn datt verdanke ma dänne Musseler Läit
Dä Musseler ess fleeßig und moos vill schaffe,
ä well kää gruuß Vermöje zesomme raffe.
Goat lewwe well e, un moal ääne petsche
und net nur em Wingert erimm retsche.
Esse unn drenke hält Leev unn Siil zesomme,
dat honn sich die Musseler als Leitspruch vir genumme.
A schii Glas Riesling, en Schenke-Schmeer,
Noo gedooner Arwet, watt well ma mehr.

Un fäiere kinnen se, die Mussel-Läit,
Unn Idee-e dofiir hon se net escht seet häit,
Subaal et warm gett, kimmt Festje off Festje,
Enn Cochem unn Zell und jerem klääne Nestje.
Doo get gesunge und geschunkelt,
dä Ween im Glas dä funkelt,
die Mussik die spillt
Die Wiischtja gänn gegrillt.
Unn zoo dääne Festja kumme sehr vill Gäste,
datt ess fir dä Missela dat allerbeste.
Da säin net nur Zemmer und Ferie-Wonnunge belooch
von dänne Gäste get och mannich Flasch Ween met hääm gebrooch
Eesch lewwen on der Mussel wäile schuu baal 80 Joa
Unn egal, wo eesch soss in der Welt erimm woa.
Et ess nirjens schiina wie emm Mussel-Daal
em Summer, em Wender, ganz egal.

Gerhard Schommers, 1. Vorsitzender der Mundartinitiative im Kreis Cochem-Zell e.V.